Das Gericht erster Instanz (2)




Jede Person, die ein Interesse am Ausgang eines beim Gericht anhängigen Rechtsstreits geltend machen kann, sowie die Mitgliedstaaten und die Organe der Gemeinschaft können dem Verfahren als Streithelfer beitreten. Der Streithelfer reicht einen Schriftsatz ein, mit dem die Anträge einer Partei unterstützt oder bekämpft werden und auf den die Parteien anschließend antworten können. In bestimmten Fällen kann der Streithelfer auch im mündlichen Verfahren Stellung nehmen.

Im Laufe des mündlichen Verfahrens findet eine öffentliche Sitzung statt. In dieser Sitzung können die Richter den Vertretern der Parteien Fragen stellen. Der Berichterstatter fasst in einem Sitzungsbericht den vorgetragenen Sachverhalt sowie die Argumentation der Parteien und gegebenenfalls der Streithelfer zusammen. In der Sitzung wird dieses Dokument in der Verfahrenssprache zur Verfügung gestellt.

Die Richter beraten sodann auf der Grundlage des vom Berichterstatter erstellten Urteilsentwurfs, und das Urteil wird in öffentlicher Sitzung verkündet.

Das Verfahren vor dem Gericht erster Instanz ist kostenfrei. Das Gericht übernimmt aber nicht die Kosten des Rechtsanwalts, der berechtigt ist, vor einem Gericht eines Mitgliedstaats aufzutreten, und von dem sich die Parteien vertreten lassen müssen. Einer natürlichen Person, die außerstande ist, die Verfahrenskosten zu bestreiten, kann jedoch auf Antrag Prozesskostenhilfe bewilligt werden.

Verfahren der einstweiligen Anordnung. Eine Klage beim Gericht führt nicht dazu, dass die Durchführung der angefochtenen Handlung aufgeschoben wird. Das Gericht kann allerdings ihre Durchführung aussetzen oder andere einstweilige Anordnungen treffen.

Der Präsident des Gerichts oder gegebenenfalls ein anderer Richter – als Richter der einstweiligen Anordnung – entscheidet über einen dahin gehenden Antrag durch Beschluss, der mit Gründen zu versehen ist.

Einstweilige Anordnungen werden nur getroffen, wenn drei Voraussetzungen erfüllt sind:

1. Die Klage muss auf den ersten Blick begründet erscheinen;
2. der Antragsteller muss die Dringlichkeit der Anordnungen, ohne die ihm ein schwerer und nicht wiedergutzumachender Schaden entstehen würde, darlegen;
3. die einstweiligen Anordnungen müssen einer Abwägung der Interessen der Parteien und des allgemeinen Interesses Rechnung tragen.

Der Beschluss hat vorläufigen Charakter und greift der Entscheidung des Gerichts in der Hauptsache in keiner Weise vor. Er kann mit einem Rechtsmittel beim Gerichtshof angefochten werden.

Beschleunigtes Verfahren. Dieses Verfahren ermöglicht es dem Gericht, in Rechtssachen, die als besonders eilbedürftig angesehen werden, rasch in der Sache zu entscheiden. Das beschleunigte Verfahren kann vom Kläger und vom Beklagten beantragt werden.

Sprachenregelung. Die für die Klageschrift verwendete Sprache, die eine der 23 Amtssprachen der Europäischen Union sein kann, wird Verfahrenssprache (vorbehaltlich der Anwendung von Sonderbestimmungen).

Die Erörterungen im mündlichen Verfahren werden nach Bedarf simultan in verschiedene Amtssprachen der Europäischen Union gedolmetscht. Die Richter beraten ohne Dolmetscher in einer gemeinsamen Sprache, die traditionsgemäß das Französische ist.

 


Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften

Der Gerichtshof besteht aus 27 Richtern und 8 Generalanwälten. Die Richter und Generalanwälte werden von den Regierungen der Mitgliedstaaten im gegenseitigen Einvernehmen auf sechs Jahre ernannt; Wiederernennung ist zulässig. Sie sind unter Juristen auszuwählen, die jede Gewähr für Unabhängigkeit bieten und in ihrem Staat die für die höchsten richterlichen Ämter erforderlichen Voraussetzungen erfüllen oder sonst hervorragend befähigt sind.

Die Richter des Gerichtshofes wählen aus ihrer Mitte für die Dauer von drei Jahren den Präsidenten des Gerichtshofes; Wiederwahl ist zulässig. Der Präsident leitet die rechtsprechende Tätigkeit und die Verwaltung des Gerichtshofes; er führt in den größeren Spruchkörpern den Vorsitz in den Sitzungen und bei den Beratungen.

Die Generalanwälte unterstützen den Gerichtshof. Sie stellen in völliger Unparteilichkeit und Unabhängigkeit ein Rechtsgutachten, die „Schlussanträge“, in den Rechtssachen, die ihnen zugewiesen sind.

Der Kanzler ist der Generalsekretär des Gerichtshofes; er leitet dessen Dienststellen unter der Aufsicht des Präsidenten.

Der Gerichtshof kann als Plenum, als Große Kammer mit dreizehn Richtern oder als Kammer mit drei oder mit fünf Richtern tagen. Als Plenum tagt er in besonderen, in der Satzung des Gerichtshofes vorgesehenen Fällen (u. a. Amtsenthebung des Europäischen Bürgerbeauftragten oder eines Mitglieds der Europäischen Kommission, das seine Amtpflichten verletzt hat), und wenn er zu der Auffassung gelangt, dass eine Rechtssache von außergewöhnlicher Bedeutung ist. Er tagt als Große Kammer, wenn ein Mitgliedstaat oder ein Gemeinschaftsorgan als Partei des Verfahrens dies beantragt, sowie in besonders komplexen oder bedeutsamen Rechtssachen. In den übrigen Rechtssachen entscheiden Kammern mit drei oder fünf Richtern. Die Präsidenten der Kammern mit fünf Richtern werden für drei Jahre gewählt, die Präsidenten der Kammern mit drei Richtern für ein Jahr. Zur Erfüllung seiner Aufgabe wurde der Gerichtshof mit genau definierten Zuständigkeiten ausgestattet, die er im Rahmen des Vorabentscheidungsverfahrens und verschiedener Klagearten wahrnimmt.

Die einzelnen Verfahrensarten. Vorabentscheidungsersuchen. Der Gerichtshof arbeitet mit allen Gerichten der Mitgliedstaaten zusammen; diese sind die für die Anwendung des Gemeinschaftsrechts zuständigen Gerichte. Um eine tatsächliche und einheitliche Anwendung des Gemeinschaftsrechts sicherzustellen und divergierende Auslegungen zu verhindern, können nationale Gerichte sich an den Gerichtshof wenden und ihn um eine Auslegung des Gemeinschaftsrechts bitten, um etwa die Vereinbarkeit ihrer nationalen Rechtsvorschriften mit dem Gemeinschaftsrecht prüfen zu können. Gegenstand des Vorabentscheidungsersuchens kann auch die Prüfung der Gültigkeit eines Gemeinschaftsrechtsakts sein.

Der Gerichtshof antwortet nicht durch ein bloßes Gutachten, sondern durch Urteil oder mit Gründen versehenen Beschluss. Das nationale Gericht, an das das Urteil oder der Beschluss gerichtet ist, ist bei der Entscheidung in der bei ihm anhängigen Sache an die Auslegung des Gerichthofes gebunden. In gleicher Weise bindet das Urteil des Gerichtshofes andere nationale Gerichte, die mit demselben Problem befasst werden.

Das Vorabentscheidungsersuchen bietet ferner jedem Unionsbürger die Möglichkeit, den genauen Inhalt der ihn betreffenden Normen des Gemeinschaftsrechts feststellen zu lassen. Zwar können nur nationale Gerichte den Gerichtshof mit einem solchen Ersuchen befassen, doch können an dem Verfahren vor dem Gerichtshof alle Beteiligten des Ausgangsverfahrens, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane teilnehmen. Verschiedene Grundsätze des Gemeinschaftsrechts sind auf diese Weise aufgrund von Vorabentscheidungsersuchen – zum Teil erstinstanzlicher Gerichte – vom Gerichtshof festgestellt worden.

 


Der Gerichtshof der Europäischen Gemeinschaften (2)

Klage wegen Vertragsverletzung. In diesem Verfahren prüft der Gerichtshof, ob die Mitgliedstaaten ihren gemeinschaftsrechtlichen Verpflichtungen nachgekommen sind. Der Anrufung des Gerichtshofes geht ein von der Kommission eingeleitetes Vorverfahren voraus, das dem Mitgliedstaat Gelegenheit gibt, sich zu den gegen ihn erhobenen Vorwürfen zu äußern. Führt dieses Vorverfahren nicht zur Abstellung der Vertragsverletzung durch den Mitgliedstaat, kann beim Gerichtshof eine Vertragsverletzungsklage erhoben werden.

Diese Klage kann von der Kommission – dies ist in der Praxis der häufigste Fall – oder von einem Mitgliedstaat erhoben werden. Stellt der Gerichtshof die Vertragsverletzung fest, so ist der betreffende Staat verpflichtet, sie unverzüglich abzustellen. Stellt der Gerichtshof nach einer erneuten Anrufung durch die Kommission fest, dass der betreffende Mitgliedstaat seinem Urteil nicht nachgekommen ist, so kann er ihm die Zahlung eines Pauschalbetrags und/oder Zwangsgelds auferlegen.

Nichtigkeitsklage. Mit der Nichtigkeitsklage beantragt der Kläger die Nichtigerklärung einer Handlung eines Organs (Verordnung, Richtlinie, Entscheidung). Dem Gerichtshof vorbehalten sind die Klagen, die von einem Mitgliedstaat gegen das Europäische Parlament und/oder den Rat erhoben werden (ausgenommen Handlungen des Rates betreffend staatliche Beihilfen, Dumping und Durchführungsbefugnisse), sowie Klagen eines Gemeinschaftsorgans gegen ein anderes. Für sonstige Nichtigkeitsklagen, insbesondere Klagen von Einzelpersonen, ist im ersten Rechtszug das Gericht erster Instanz zuständig.

Untätigkeitsklage. Mit dieser Klage kann die Rechtmäßigkeit der Untätigkeit eines Gemeinschaftsorgans überprüft werden. Sie kann jedoch erst erhoben werden, nachdem das Organ zum Tätigwerden aufgefordert wurde. Wird festgestellt, dass die Unterlassung rechtwidrig war, obliegt es dem betreffenden Organ, die Untätigkeit durch geeignete Maßnahmen zu beenden. Die Zuständigkeit für Untätigkeitsklagen ist zwischen dem Gerichtshof und dem Gericht erster Instanz nach denselben Kriterien aufgeteilt wie bei den Nichtigkeitsklagen.

Rechtsmittel. Beim Gerichtshof können auf Rechtsfragen beschränkte Rechtsmittel gegen Urteile des Gerichts erster Instanz eingelegt werden. Ist das Rechtsmittel zulässig und begründet, hebt der Gerichtshof die Entscheidung des Gerichts erster Instanz auf. Ist die Rechtssache zur Entscheidung reif, kann der Gerichtshof den Rechtsstreit selbst entscheiden. Andernfalls muss er die Rechtssache an das Gericht zurückverweisen, das an die Rechtsmittelentscheidung gebunden ist.

Entscheidungen des Gerichts erster Instanz über Rechtsmittel gegen Entscheidungen des Gerichts für den öffentlichen Dienst der Europäischen Union können in Ausnahmefällen Gegenstand einer Überprüfung durch den Gerichtshof sein. Das Verfahren umfasst in allen Rechtssachen eine schriftliche und im Allgemeinen auch eine mündliche Phase mit öffentlicher Verhandlung. Zu unterscheiden ist jedoch zwischen dem Verfahren in Vorabentscheidungssachen und dem in Klagesachen.

Anrufung des Gerichtshofes und schriftliches Verfahren. Vorabentscheidungssachen. Ein nationales Gericht legt dem Gerichtshof Fragen nach der Auslegung oder der Gültigkeit einer Bestimmung des Gemeinschaftsrechts vor. Das Vorabentscheidungsersuchen wird zunächst vom Übersetzungsdienst des Gerichtshofes in alle anderen Amtssprachen der Gemeinschaft übersetzt und anschließend vom Kanzler den Parteien des Ausgangsverfahrens sowie den Mitgliedstaaten und den Organen zugestellt. Der Kanzler lässt eine Mitteilung im Amtsblatt der Europäischen Union veröffentlichen, in der die Parteien des Ausgangsverfahrens und der Inhalt der Fragen angegeben werden. Die Parteien, die Mitgliedstaaten und die Gemeinschaftsorgane können binnen zwei Monaten schriftliche Erklärungen beim Gerichtshof einreichen.



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