Bimba hat ihn noch nie so erlebt.




Bimba sieht ihn an.

«Gottlieb, was ist mit dir?»

«Nichts», sagt er: «Müde –.»

Das Bad ist voll.

«Danke», sagt er –

Einmal gibt sie ihm einen Kuss, um zu wissen, ob er getrunken hat. Keine Spur. Schinz gibt den Kuß zurück, um endlich baden zu dürfen.

«Du hast ja Fieber?»

«Unsinn», sagt er.

«Bestimmt hast du Fieber!»

«Komm», sagt er: «Lass mich –.»

«Warum kannst du nicht sagen, wo du den ganzen Tag gewesen bist? Verstehe ich nicht.

Nicht einmal ein Anruf! Ich sitze den ganzen Tag, rege mich auf wie eine Irrsinnige – und du kommst um Mitternacht, wo wir seit dem Mittagessen warten, und sagst nicht einmal, wo du gewesen bist.»

«Im Wald!» schreit er.

Türe zu!... Hoffentlich sind die Kinder nicht erwacht, es ist sehr unbeherrscht gewesen, sehr unschinzisch. Dreiviertel Stunden dauert das Bad. Als Schinz herauskommt, rosig und wie neugeboren, sitzt Bimba mit verheulten Augen.

«Was ist denn los?»

«Rühr mich nicht an!» sagt sie.

Bald zwei Uhr, es wäre wunderbar, jetzt schlafen zu können, wenn Bimba nicht weinen würde. Eine Frau von vierundvierzig Jahren, Mutter von vier gesunden Kindern, deren ältestes demnächst heiraten wird, schluchzt mit zitternden Schultern! nur weil der Gatte sich erlaubt hat, einen Sonntag lang sich im Wald zu verirren.

«Bimba», sagt er – und streicht ihr immer noch schönes Haar: «Morgen ist Montag!»

«Bitte, geh schlafen.»

«Ich bin wirklich im Wald gewesen –»

«Wenn das wieder losgeht!» weint sie.

«Was?»

«Warum lügst du?» sagt sie plötzlich ohne Tränen: «Wenn es ein Frauenzimmer ist, warum sagst du es nicht?»

Pause.

«Es ist kein Frauenzimmer.»

Pause.

«Und wenn!» schreit er plötzlich: «Ich habe gelogen, ja, ich habe gelogen! Ein Leben lang habe ich gelogen – – –»

Bimba versteht kein Wort, eine Viertelstunde geht er hin und her, Heinrich Gottlieb Schinz, der nicht getrunken hat, das weiß sie; hin und her, schreiend, um so lauter schreiend, je mehr sie ihn dämpfen will, Dinge redend, die keinen Sinn haben, die alles auf den Kopf stellen, aber wirklich alles, kein Glaube bleibt an seinem gewohnten Ort, kein Wort, das gestern noch gegolten, ein Leben lang gegolten hat – Vielleicht hat er wirklich Fieber... Anders kann Bimba es nicht erklären, sein wirres Geschrei, Bimba sagt fast nichts; nur einmal: «Gottlieb, ich bin nicht taub.»

Bimba hat ihn noch nie so erlebt.

 

9 Am andern Morgen, wie gesagt, es ist Montag, Arbeitstag, (рабочий день) die Kinder müssen ins Gymnasium, frühstücken im Stehen, (завтак стоя) die Mappe unter dem Arm, (портфель под мышкой) obschon Schinz diese Schlamperei nicht haben will (хотя Шинцу не нравится эта расхлябанность) – am andern Morgen, als Schinz und seine Bimba zusammen frühstücken, scheint alles wieder in Ordnung; (кажется, все снова в порядке) kein Wort über die nächtliche Szene; (ни слова о ночной сцене) Bimba im Morgenrock, (Бимба в пеньюаре) der ihr besonders schmeichelt, (который ей очень льстит) röstet die Brote (поджаривает хлеб) wie immer am Montag, wenn das frische Brot noch nicht da ist; (когда еще нет свежего хлеба) Schinz überfliegt (пробегает взглядом) die Morgenzeitung, (утреннюю газету) indem er es ganz seinen Händen überlässt, («в то время, как он полностью передает своим рукам», только руками, не глядя) das Ei zu köpfen, (чистить яйцо) kurzum, (короче) die Gewöhnung: (привычка) alle Worte stehen wieder an ihrem Ort (все слова снова на своем месте)... Von Fieber kann nicht die Rede sein, (о горячке не может быть и речи) Schinz hat sich gemessen. (померил температуру) «Got sei Dank», (слава богу) sagt Bimba: «du hättest dich zu Tode erkälten können.» (ты мог бы простудиться до смерти) Sie glaubt jetzt an den Wald. (теперь она верит в историю про лес) «Jedenfalls (во всяком случае) werden wir dich am Nachmittag wieder messen!» (после обеда мы снова померим тебе температуру) meint sie: «Die Anita hat eine wirkliche Erkältung erwischt.» (Анита по-настоящему простудилась) (Anita heißt die Dogge.) Der Montag vergeht wie gewöhnlich, (проходит как обычно) die laufenden Geschäfte (текущие дела) bringen nichts Besonderes, (не приносят ничего необычного) Schinz fühlt sich durchaus in Ordnung, (чувствует себя полностью в порядке) so dass sie die Karten für den «Rosenkavalier» nicht zurückgeben. (так что они не сдают билеты на «Кавалера роз» /опера Рихарда Штрауса/) Nach dem Theater, alles wie gewohnt, (все как обычно) trinken sie ein Glas Wein; Bimba im schwarzen Pelz. (на Бимбе черный мех) Sie ist besonders zärtlich zu ihm, (она особо нежна к нему) unwillkürlich, (непроизвольно) etwa wie zu einem Kranken. (примерно как с больным) Schinz merkt es mehr als sie: (замечает это больше, чем она) etwas Behütendes, (что-то оберегающее) etwas auch von einer Mutter, (что-то материнское) welche die Leute nicht will merken lassen, (которая не хочет дать людям заметить) dass ihr Kind ein fallendes Weh hat (что у ее ребенка падучая болезнь). Da er sich tadellos fühlt (поскольку он чувствует себя безупречно), kränkt es ihn nicht; (его это не обижает) immerhin (все же) bemerkt er es, hofft, sie werde diese etwas rührende Art (немного трогательную манеру) bald wieder verlieren. Nicht Bimbas eigentliche Art! (это не ее подлинная, настоящая манера) Doch sagen will er nichts. (но говорить он ничего не хочет) Mein Liebes, müsste er etwa sagen, (дорогая моя, должен он был бы сказать) ich bin nicht verrückt! (я не сумасшедший) Draußen auf der Straße («снаружи», на улице) kauft Schinz eine Zeitung, alles wie gewohnt; als er zum Wagen zurückkommt, (когда он возвращается к машине) sitzt Bimba bereits am Steuer. (Бимба за рулем) Sie möchte wieder einmal fahren! (она снова хочет проехаться) Schinz schweigt. «Sonst verlerne ich es», (иначе я разучусь) sagt sie. Auf der Heimfahrt (по дороге домой) redet Schinz kein einziges Wort, (не произносит ни единого слова) das ist selten bei ihm, (такое с ним случается редко) aber auch schon dagewesen. (но уже бывало) Immerhin (все-таки) sagt Bimba: «Was ist mit dir, Gottlieb?» «Was soll denn sein.» (что со мной может быть) «Bist so still!» (ты такой тихий) «Nichts», sagt er: «Müde –.»«Die Steinhofer war doch herrlich!» (Штайнхофер была все же великолепна) «Sehr.» (очень) «Sie ist reifer geworden», (она стала более зрелой) sagt Bimba: «Oder findest du nicht?» (или ты не находишь?) Keine Antwort. «Ich fand sie herrlich.» (я нашел ее = мне она показалась великолепной) Wenn das so weitergeht, (если так будет продолжаться) denkt Schinz, wird es eine Hölle. (это станет адом) Wenn was weitergeht? (если это будет продолжаться?) Das weiß er nicht. (этого он не знает) Aber eine Hölle, (но ад) das ist sicher... (это точно) Er schließt die Garage, (он закрывает гараж) während Bimba, (в то время как Бимба) obschon es regnet, (хотя идет дождь) auf der Treppe wartet. (ждет на лестнице) «Geh doch schon!» (Ну, иди же) ruft er. Sie wartet. (Она ждет) Er, plötzlich am Rande seiner Beherrschung, (на грани своего самообладания) reißt nochmals die Garage auf, (снова распахивает гараж) macht Licht, (включает свет) öffnet den Wagen. (открывает машину) «Was ist denn los?» (Что случилось?) ruft Bimba. Schinz hat die Zeitung vergessen. (Шинц забыл газету) «Geh schon!» (Иди же) ruft er – Aber Bimba wartet, (но Бимба ждет) sie ist sogar einige Stufen heruntergekommen, (она даже спустилась на несколько ступенек) als habe sie Angst, (как будто она боится) Schinz könnte den Wagen nehmen und nochmals wegfahren. (что Шинц может взять машину и снова уехать) In den Wald, (в лес) zu der Geliebten in den Wald! (к любовнице, в лес) denkt er, lässt sich außerordentlich Zeit, (совсем не спешит: «дает, позволяет себе необыкновенно /много/ времени») bis er die Garage wieder geschlossen hat. (пока он снова не закрывает гараж) Sie wartet wie eine Krankenwärterin! (как сиделка в больнице!) denkt er... Das ist der Montag gewesen. (Это был понедельник)

 

9 Am andern Morgen, wie gesagt, es ist Montag, Arbeitstag, die Kinder müssen ins Gymnasium, frühstücken im Stehen, die Mappe unter dem Arm, obschon Schinz diese Schlamperei nicht haben will – am andern Morgen, als Schinz und seine Bimba zusammen frühstücken, scheint alles wieder in Ordnung; kein Wort über die nächtliche Szene; Bimba im Morgenrock, der ihr besonders schmeichelt, röstet die Brote wie immer am Montag, wenn das frische Brot noch nicht da ist; Schinz überfliegt die Morgenzeitung, indem er es ganz seinen Händen überlässt, das Ei zu köpfen, kurzum, die Gewöhnung: – alle Worte stehen wieder an ihrem Ort... Von Fieber kann nicht die Rede sein, Schinz hat sich gemessen.

«Got sei Dank», sagt Bimba: «du hättest dich zu Tode erkälten können.» Sie glaubt jetzt an den Wald.

«Jedenfalls werden wir dich am Nachmittag wieder messen!» meint sie: «Die Anita hat eine wirkliche Erkältung erwischt.» (Anita heißt die Dogge.)

Der Montag vergeht wie gewöhnlich, die laufenden Geschäfte bringen nichts Besonderes, Schinz fühlt sich durchaus in Ordnung, so dass sie die Karten für den «Rosenkavalier» nicht zurückgeben. Nach dem Theater, alles wie gewohnt, trinken sie ein Glas Wein; Bimba im schwarzen Pelz. Sie ist besonders zärtlich zu ihm, unwillkürlich, etwa wie zu einem Kranken. Schinz merkt es mehr als sie: etwas Behütendes, etwas auch von einer Mutter, welche die Leute nicht will merken lassen, dass ihr Kind ein fallendes Weh hat. Da er sich tadellos fühlt, kränkt es ihn nicht; immerhin bemerkt er es, hofft, sie werde diese etwas rührende Art bald wieder verlieren. Nicht Bimbas eigentliche Art! Doch sagen will er nichts. Mein Liebes, müsste er etwa sagen, ich bin nicht verrückt! Draußen auf der Straße kauft Schinz eine Zeitung, alles wie gewohnt; als er zum Wagen zurückkommt, sitzt Bimba bereits am Steuer. Sie möchte wieder einmal fahren! Schinz schweigt. «Sonst verlerne ich es», sagt sie.

Auf der Heimfahrt redet Schinz kein einziges Wort, das ist selten bei ihm, aber auch schon dagewesen. Immerhin sagt Bimba:

«Was ist mit dir, Gottlieb?»

«Was soll denn sein.»

«Bist so still!»

«Nichts», sagt er: «Müde –.»

«Die Steinhofer war doch herrlich!»

«Sehr.»

«Sie ist reifer geworden», sagt Bimba: «Oder findest du nicht?»

Keine Antwort.

«Ich fand sie herrlich.»

Wenn das so weitergeht, denkt Schinz, wird es eine Hölle. Wenn was weitergeht? Das weiß er nicht. Aber eine Hölle, das ist sicher... Er schließt die Garage, während Bimba, obschon es regnet, auf der Treppe wartet.

«Geh doch schon!» ruft er. Sie wartet. Er, plötzlich am Rande seiner Beherrschung, reißt nochmals die Garage auf, macht Licht, öffnet den Wagen.

«Was ist denn los?» ruft Bimba.

Schinz hat die Zeitung vergessen. «Geh schon!» ruft er –

Aber Bimba wartet, sie ist sogar einige Stufen heruntergekommen, als habe sie Angst, Schinz könnte den Wagen nehmen und nochmals wegfahren. In den Wald, zu der Geliebten in den Wald! denkt er, lässt sich außerordentlich Zeit, bis er die Garage wieder geschlossen hat. Sie wartet wie eine Krankenwärterin! denkt er...



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