Prosodische Eigenschaften des Wortes




6.8.1. Wortbetonung

Jedes Wort hat eine Dauer, eine Lautstärke, tiefer und höher liegende Silben, d.h., alle prosodischen Mittel funktionieren in jedem gesprochenen Wort. Doch die wichtigste prosodische Eigenschaft des Wortes, die es von einer Silbe unterscheidet, ist die Betonung. Die W o r t b e t o n u n g – Hervorhebung einer Silbe über die anderen im Wort – macht aus einer losen Silbenkette ein größeres phonetisches Segment, das wir mit einem Inhalt verbinden und Wort nennen.

Die Betonung hat im Wort vielfältige Aufgaben:

Ø Sie verbindet die Silben miteinander (die konstitutive Funktion),

Ø zeigt im Wort den Gipfel an (die kulminative Funktion),

Ø unterscheidet in manchen Sprachen die grammatischen Formen und Wortbedeutungen (die distinktive Funktion),

Ø kann in manchen Sprachen verlässlich den Redestrom in Wörter gliedern (die delimitative Funktion).

Die Wortbetonung kann man von verschiedenen Seiten betrachten. Berücksichtigt man die P o s i t i o n der Betonung im Wort, so unterscheidet man freie Wortbetonung, die auf verschiedene Silben im Wort fallen kann (z.B., die russische oder belarussische), und gebundene, die immer auf derselben Silbe liegt: der letzten Silbe im Französischen, der ersten im Tschechischen, der vorletzten im Polnischen. Da die deutsche Wortbetonung nicht an eine bestimmte Silbe, sondern fest an bestimmte Morpheme gebunden ist (es gibt betonte und unbetonte Präfixe, betonte und unbetonte Suffixe), nennt man sie morphemgebunden.

Zur Hervorhebung der Silbe werden in verschiedenen Sprachen unterschiedliche a k u s t i s c h e M i t t e l eingesetzt. In einigen Sprachen werden die wichtigsten Silben durch die Dehnung dieser Silben hervorgehoben (man spricht dann von der quantitativen Betonung, z.B. im Russischen). In anderen Sprachen werden betonte Silben wesentlich lauter gesprochen (dynamischer Akzent, z.B. im Deutschen). In wieder anderen Sprachen erfolgt die Hervorhebung der Silbe durch die Veränderung der Tonhöhe: Die betonten Silben werden höher oder tiefer als die unbetonten gelegt. So entsteht der musikalische Akzent (z.B. im Chinesischen). Meist aber werden einige akustische Mittel zur Hervorhebung der Silbe kombiniert. So dienen, z.B. im Deutschen als die wichtigsten Mittel zur Hervorhebung der Silbe Tonhöheveränderungen und Intensität (laut Experimenten von G. Heike). Im Russischen und Belarussischen wird die betonte Silbe dadurch auffallend gemacht, dass sie gedehnt und lauter gesprochenwird.

Wenn das Wort einige Betonungen hat, so unterscheiden sie sich nach der
S c h w e r e und man spricht von der Haupt - und Nebenbetonung im Wort. Diese Art Betonung ist, z.B., in deutschen zusammengesetzten Wörtern gut bekannt: die ´Fahr¸bahn, das ´Wärme¸kraftwerk, die ´Ganztags¸schule.

Von allen Aspekten der Betonung ist aus linguistischer Sicht die funktionelle Seite am wichtigsten, d.h. die R o l l e der Wortbetonung in der Sprache.

O. von Essen unterscheidet in dieser Hinsicht den etymologischen, den rhythmischen und den grammatischen Akzent. Unter etymologischem Akzent versteht er die Hervorhebung des semantisch wichtigsten Segments im Wort: ´ es sen, der ´ Es ser, ´ ess bar, die ´ Ess zeit. Rhythmisch nennt er die gebundene Wortbetonung, die den Redestrom sicher in Wörter trennt. Der grammatische Akzent kann grammatische Formen des Wortes unterscheiden (по´ля – ´поля, во´ды – ´воды). Die deutsche Wortbetonung besitzt dieses Potential nicht.

Diese Reihe von sprachlich wichtigen Funktionen der Wortbetonung kann man noch durch die bedeutungsdifferenzierende (distinktive) Funktion ergänzen: за´мок – ´замок, му´ка – ´мука, пи´ли – ´пили, ´память – по´мять sowie durch ihre wichtige konstitutive (bildende) Rolle: Sie verbindet Silben zu Wörtern.

Die deutsche Wortbetonung hat die distinktive Funktion nur in sehr begrenztem Maße: ´durchsetzen – durch´setzen, ´umwerfen – um´werfen, ´umstellen – um´stellen. Diese Betonung unterscheidet aber oft die Bedeutung der Fremdwörter: ak´tiv – ´Aktiv, ´Perfekt – per´fekt usw.

 

6.8.2. Dauerverteilung im Wort

Unter W o r t d a u e r versteht man die zeitliche Dimension des Wortes.

Die gesamte Wortdauer setzt sich aus der Dauer einzelner Laute zusammen, die ihre eigene (inhärente) Dauer haben, durch die Wortbetonung jedoch gedehnt oder gerafft werden. Deshalb gilt im Großen und Ganzen die Regel: Je mehr Laute ein Wort enthält, desto größer ist seine Dauer. Je mehr lange Phoneme im Wort sind, desto länger ist es insgesamt. Je mehr Silben im Wort betont werden, desto länger ist es. Feste Grenzen für die Wortdauer gibt es jedoch nicht.

 

6.8.3. Dynamische Verhältnisse zwischen den Silben

Die Wahrnehmung der Schallamplitude durch unser Ohr bezeichnet man als

L a u t s t ä r k e. Die Verteilung der Lautstärke im Wort hängt auch sehr eng mit der Wortbetonung zusammen: Betonte Silben werden immer lauter gesprochen als die unbetonten. Dabei gibt es ebenfalls keine festen Gesetze für die Verstärkung der betonten Silbe: um 10%, 20% oder 200%. Die relative Verstärkung genügt, damit wir die Silbe als hervorgehoben wahrnehmen.

Der zweite wichtige Faktor für die Wortlautheit ist die inhärente (eigene) Lautstärke der einzelnen Laute: Selbstverständlich klingt das Wort alle lauter als das Wort Ast, weil das erste Wort nur sonore Laute enthält, während zum zweiten zwei stimmlose Konsonanten gehören. Nach der abnehmenden eigenen Lautstärke bilden die Laute solch eine Reihe: Vokale – Sonanten – stimmhafte Konsonanten – stimmlose Konsonanten.

 

6.8.4. Tonhöheverteilung im Wort

Die Tonhöhe bleibt beim Aussprechen eines Wortes nie gleich: Der Ton gleitet stets nach oben und nach unten. Wichtig ist dabei nicht die absolute Tonlage, wie beim Singen, sondern die relative, bezogen auf die Höhe der anderen Silben in diesem Wort. Unserem Ohr genügt, wenn es fixiert, ob der Ton nach oben oder nach unten geht. Dafür braucht man nicht unbedingt ein feines, gut geschultes musikalisches Gehör, das tun wir alle beim Sprechen.

Diese allgemeine Relativität gilt jedoch nicht für alle Sprachen. In den Sprachen mit musikalischer Wortbetonung sind die Tonbewegungen viel feiner differenziert: Es ist wichtig, ob die Silbe hoch oder tief liegt, ob die Tonbewegung darin stabil bleibt oder sich ändert, ob der Ton dabei nach unten oder nach oben geht. Das unterscheidet in den Tonsprachen die Wortbedeutungen. So bedeutet in der afrikanischen Sprache Ewe, z.B., die Silbe [tsi] im Hochton Suppe, im Tiefton – Wasser.

Im Chinesischen sind die tonalen Unterschiede noch krasser. Da gibt es vier phonologische Töne: flach (---), steigend (/), fallend-steigend (v) und fallend (\). So bedeutet etwa sie Silbe [ma] im flachen Ton ‚Mutter’, im steigenden Ton ‚Hanf’, im fallend-steigenden Ton ‚Pferd’ und im fallenden Ton ‚schimpfen’. Solche Paare gibt es im Chnesischen zu Hunderten, betont E.Ternes (E. Ternes, S.133).

Die Tonhöhebewegung in europäischen Sprachen ist nicht zu trennen von der Wortbetonung: Betonte Silben werden höher gelegt, während auf den unbetonten der Ton nach unten schweift. Doch bedeutungsunterscheidend ist dieses Schweifen nicht. Nur Reste des musikalischen Akzentes sind in einigen europäischen Sprachen geblieben (im Norwegischen, Schwedischen, Litauischen und einigen anderen).



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