Die Prosodie hat, genauso wie der Laut, wesentliche, relevante Merkmale, die für den Sinn der Äußerung entscheidend sind, und begleitende, nebensächliche, die Informationen über etwas anderes bringen, den Sinn des Redesegments jedoch nicht beeinflussen: Hier bleiben? Hier bleiben!
Im ersten Fall haben wir eine Vermutung, wo für den Sinn die Tonbewegung relevant ist. Die Länge der Pause oder das Tempo verändern den Sinn der Äußerung nicht.
In der zweiten Äußerung haben wir einen Befehl. Für seine gestaltung ist nicht nur die fallende Tonführung wichtig, sondern auch ein großes tonales Intervall und die steile Bewegung des Tons nach unten. Erst dann hören wir einen Befehl, nicht eine Bitte.
Die Gesamtheit von prosodischen Merkmalen, die für den Sinn der Äußerung relevant sind, bezeichnet man als P r o s o d e m. Das ist die suprasegmentale Struktur, die genug und notwendig ist, um gesprochene Texte sinngemäß zu gestalten und entsprechend zu verstehen.
Keine Sprache der Welt hat zurzeit eine volle Liste von Prosodemen. Ihre Entwicklung ist eine Herausforderung für die Phonologen und Phonetiker der Gegenwart und Zukunft. Diese Liste ist dringend notwendig, wenn der Mensch den künstlichen Intellekt entwickeln will, wenn er den Computer lehren will, mündliche Texte zu produzieren und zu verstehen.
8. PROSODISCHE GESTALTUNGSMITTEL DER MÜNDLICHEN REDE
8.1. Die Melodie
8.2. Die Satzbetonung
8.3. Der Rhythmus
8.4. Das Tempo
8.5. Die Lautstärke
8.6. Die Pausen
8.7. Die Klangfarbe
Die Melodie
Unter M e l o d i e versteht man Veränderungen der Schallfrequenz unserer Stimme beim Sprechen. Wir nehmen sie als Schwankungen der Tonhöhe in der Zeit oder als Tonverlauf wahr.
Die Melodie ist sehr flexibel. Die Menschen machen davon aktiv Gebrauch beim Sprechen und beim Singen, doch sie verwenden sie dabei unterschiedlich: Beim Singen kommt es auf genaue Tonhöheabstufungen der Silben an. Beim Sprechen genügt es, wenn wir den Tonfall oder Tonanstieg hören. Sie tragen die wichtigsten Informationen für jeden Hörer, auch wenn er nicht sonderlich musikalisch ist.
Die Funktionen der Melodie in der Rede sind mannigfaltig:
Ø Sie bringt die kommunikative Absicht des Sprechers zum Ausdruck: Sie zeigt, ob der Sprecher etwas mitteilt, befiehlt oder fragt:
Wo gehst du hin? – Nach Hause. (Mitteilung)
Wo gehst du hin? Nach Hause! (Befehl)
Wo gehst du hin? Nach Hause? (Vermutung)
Ø Die Melodie signalisiert die Abgeschlossenheit oder Nichtabgeschlos-senheit des Ausspruchs (die syntaktische Funktion):
Wann kannst du das tun? – Morgen.
Morgen, wenn nichts dazwischen kommt, kann ich das machen.
Ø Sie wirkt delimitativ, d.h., sie signalisiert (meist zusammen mit der Pause) das Ende des Ausspruchs oder des Syntagmas.
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Ø Die Melodie bringt Gefühle zum Ausdruck (die expressive Funktion): Ärger, Zorn, Freude, Niedergeschlagenheit usw.:
Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort? (Angst)
Ø Sie drückt die subjektive Modalität aus (die modale Funktion): Sicherheit, Zweifel, Nachdruck, Ablehnung usw.:
Er kommt zu uns? Nächste Woche? (Zweifel)
Ø Die Tonhöhe beteiligt sich auch an der Akzentuierung der Silben: Betonte Silben werden höher oder tiefer gelegt als unbetonte.
Um diese vielseitigen Aufgaben zu erfüllen, hat die Melodie zwei wichtige Instrumente:
Ø Richtung der Tonhöheveränderungen und
Ø Tonhöhenintervalle, d.h., die Größe des Tonanstiegs oder Tonfalls in der Silbe im Vergleich zu ihrer Umgebung.
Sprachlich relevant sind drei Richtungen der Melodie: der Tonfall (die terminale Melodie), der Tonanstieg (die interrogative Melodie) und die schwebende (progrediente) Melodie, die weder wesentlich nach oben, noch deutlich nach unten geht, sondern in der Schwebe stagniert.
Da die phonologische Beschreibung der phonetischen Objekte auf Oppositionen beruht, versuchen die Wissenschaftler auch die prosodische Ebene in diesen Begriffen zu beschreiben. Bei dem Versuch, die Melodiebewegungen in phonologischen Oppositionen zu präsentieren, hat G. Meinhold folgende Kontraste bekommen (s. Tab. 8.1, S.70).
Die Tabelle zeigt, dass für die Zusammenfassung dreier Melodierichtungen zwei Oppositionen genügen: Zuerst wird die terminale Melodie (Intonem 1) den beiden anderen Typen gegenübergestellt (Intonem 2). Innerhalb des Intonems 1 unterscheidet Prof. G. Meinhold zwei weitere Möglichkeiten: Der Ton steigt nichtsehr hoch an (Es regnet.): _______ oder hoch (Es regnet!): _________. Danach fällt er in beiden Fällen. Im ersten Fall (Intonem 1a) hören wir sachliche Information, im zweiten (Intonem 1b) – emotionelle, gefühlsbetonte Information. Das distinktive Merkmal ist die Größe des Intervalls: Bei der emotionellen Information ist es wesentlich größer als bei der sachlichen. Bei der Wiedergabe der modalen Schattierungen der Rede spielt das Intervall auch eine große Rolle.
T a b e l l e 8.1. Melodische Oppositionen von G. Meinhold
Oppositio-nen | Intoneme | Intonem-varianten | Strukturen | Semantik |
tiefer Tonfall | Intonem 1 | Intonem 1a | kleines positives Intervall (Der Ton steigt nicht sehr hoch und fällt nicht sehr steil) | sachliche Information |
Intonem 1b | großes positives Intervall (Der Ton steigt hoch und fällt danach steil) | emotionelle Information | ||
/ nicht tiefer Tonfall | Intonem 2 | Intonem 2a | negatives Intervall (Der Ton steigt an) | Kontaktsuche |
Intonem 2b | kleines positives Intervall (Der Ton fällt zuerst, dann stagniert er.) | Unentschlossen - heit |
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Wenn die Melodie nach unten geht, wenn die vorhergehende Silbe höher liegt als die folgende, spricht man vom positiven Intervall. Liegt aber die folgende Silbe höher als die vorhergehende, hat man mit einem negativen Intervall zu tun (Intonem 2a). Mit dieser Melodie bewegt der Sprecher seinen Partner zu einer Reaktion, zu einer Antwort:
Bei der schwebenden Melodie fällt die Melodie langsam, doch einen richtigen tiefen Tonfall, der das Ende der Information signalisiert, bekommt man dabei nicht, der Ton bleibt in der Schwebe:
´Wenn wir auf das Pro´blem ´´tiefer eingehen,// ´´sehen wir,// das es...
Ø Das Intonem 1a wird bei ruhigem, sachlichem Sprechen und in sachlichen Aufforderungen gebraucht: ´´ Geben Sie mir das bitte!
Ø Das Intonem 1b hat Platz in Ausrufen und strengen Aufforderungen, auch in Kommandos: So´fort zu´´´rück! Wie´´´ schade!
Ø Das Intonem 2a wird gebraucht zum Ausdruck von Ungeduld, Zweifel, Höflichkeit, Warnung, Trost, Drohung, Angst usw.:
Dabei wurde festgestellt: Je stärker die Emotion oder Modalität ausgeprägt ist, desto höher geht der Ton.
Ø Aufgabe des Intonems 2b ist Markierung der Nichtabgeschlossenheit in weiterweisenden Syntagmen.
8.2. Die Satzbetonung
Mit S a t z b e t o n u n g (Satzakzent) meint man die Hervorhebung eines Wortes über die anderen im Ausspruch.
Ein Ausspruch hat in der Regel mehrere Satzbetonungen, je nach der Wichtigkeit der einzelnen Wörter für den Inhalt. Diese Betonungen bilden im Ausspruch eine Hierarchie: Die schwächeren unterliegen den stärkeren.
Die Grundlage für die Satzbetonung bildet die Wortbetonung: Sie wird innerhalb des Ausspruchs verstärkt oder abgeschwächt, je nach dem Wert des entsprechenden Wortes für den Sinn des Ausspruchs.
Die wichtigsten Aufgaben der Satzbetonung in der Rede sind:
Ø die einzelnen Wörter zu größeren Segmenten zu integrieren (die konstitutive Funktion) und
Ø die Wörter nach ihrer Wichtigkeit für den Inhalt der Äußerung zu differenzieren (die kommunikative Funktion).
Die wichtigste Rolle in der Hierarchie der Hervorhebungen spielt die Hauptbetonung, die auch Schwerpunkt oder Nukleus genannt wird. Sie liegt auf dem Wort, das für den Inhalt des Ausspruchs am wichtigsten ist (''').
Jedes Syntagma hat ebenfalls ein Wort, das für seinen Sinn wichtig ist. Dieses Wort bekommt die syntagmatische Betonung ('').
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Nebensächliche Begriffe, die für den Inhalt weniger wichtig sind, werden auch weniger hervorgehoben, entsprechende Wörter werden schwächer betont. Diese Betonungen heißen Nebenbetonung, Nebenakzente oder rhythmische Betonungen ('), weil sie einzelne Silben zu rhythmischen Takten verbinden.
Hilfselemente im Ausspruch, die nur zur Bindung von bedeutungstragenden Wörtern dienen, bleiben unbetont.
So enthält eine normale, ohne besonderes Gefühl gesprochene Äußerung drei bis vier Hierarchiestufen von Satzbetonungen: Schwerpunkt, (syntagmatische Betonung, die in kurzen Aussprüchen fehlt), rhythmische Betonung und unbetonte Hilfswörter.
Der Schwerpunkt liegt in der Regel am Ende des Ausspruchs:
Wer in einem ´´Glashaus sitzt, /sollte nicht mit ´´´Steinen werfen.//
Emotional gesprochene Texte werden aber anders akzentuiert: Neben dem Schwerpunkt am Ende des Ausspruchs können in einzelnen Äußerungen andere wichtige Begriffe stark hervorgehoben werden, so dass der Ausspruch mehrere inhaltliche Zentren, einige starke Betonungen hat:
Ge´´´sehen habe ich ihn ´´nie.
Im ´´´Anfang war das ´´´Wort. (Bibl.)
Dein ´Schlüssel liegt nicht ´´´in der Tasche, sondern ´´´unter der Tasche.
Solche Satzbetonungen werden emphatisch, kontrastiv, Nachdrucksbetonung, Überbetonung oder auch Fokus genannt. Sie verleihen dem Text Expressivität, größere Ausdruckskraft.
Es gibt im Redestrom manchmal Betonungen, die keinen inhaltlichen Wert haben und nur aus rhythmischen Gründen gesetzt werden. Das geschieht, wenn im Ausspruch lange unbetonte Silbenketten entstehen:
... und ´als wir dann vor einem ´´Käfig standen,...
´Willst du mich noch zu ´´Hause antreffen,/ ´musst du dich be´´´eilen.
´Wenn wir uns nicht mehr ´´sehen sollten,...
Rhythmische Betonungen in diesen Beispielen haben keinen inhaltlichen Wert. Sie erleichtern bloß dem Sprecher die Produktion des Textes, denn es ist nicht leicht, eine lange Silbenfolge in gleicher Tonlage zu halten.
Die Satzbetonungen im Ausspruch sind von der Melodiebewegung nicht zu trennen. So bildet die Reihenfolge von Satzbetonungen, die melische Hebungen und Senkungen verursachen, die so genannte akzent-rhythmische Struktur des Ausspruchs mit ihren drei Teilen:
Ø der Silbenfolge vor der ersten betonten Silbe, die Vorlauf genannt wird,
Ø der Silbenkette zwischen der ersten und letzten Satzbetonung, die Binnenlauf oder rhythmischer Körper heißt, und
Ø den unbetonten Silben nach der letzten Satzbetonung (Nachlauf):
Unsere ║ ´Hochschule feiert im ´Januar ihr Jubi´´´lä║um.
Vorlauf Binnenlauf´ = rhythmischer Körper Nachlauf
Für die Melodiebewegung im Ausspruch sind immer die letztebetonte Silbe und die nachfolgendenunbetonten Silben sehr wichtig: Hier steigt oder fällt der Ton, was für den Sinn des Ausspruchs entscheidend ist. Dieses Segment des Ausspruchs wird Endphase oder Kadenz genannt:
Kommst du ´´´ mit in den Lesesaal?
Der Rhythmus
Mit der Satzbetonung hängt aufs engste die rhythmische Gestaltung der Rede zusammen, die eine wichtige Funktion hat: Sie ordnet den Redestrom und erleichtert dem Hörer seine Aufnahme. Das ist vor allem die ästhetische Funktion.
Unter R h y t h m u s versteht man die mehr oder weniger regelmäßige Wiederkehr gleicher oder ähnlicher Strukturen im Text (O. von Essen). Diese Strukturen sind rhythmische Takte, die durch die Satzbetonungen entstehen: Die betonten Silben ziehen unbetonte an sich von links (Proklise) und rechts (Enklise) an:
Der | ´Stein | /´rollte schnell /den ´´´ | Berg | herunter. |
Proklise | Enklise |
In gut rhythmisierten Versen sind die Abstände zwischen den betonten Silben gleich, der Rhythmus ist streng:
´Tiefe ´Stille ´herrscht im ´Wasser,
´Ohne ´Regung ´liegt das ´Meer. (J.W. von Goethe)
Beim freien Sprechen gibt es jedoch diese strenge Ordnung nie, die rhythmischen Takte sind nur ungefähr gleich.
Die wichtigsten rhythmusbildenden Faktoren sind Betonung und Zeit: Silbenfolgen mit einer betonten Silbe kehren in bestimmten Abständen wieder. Dabei ist es wichtig, zwischen Metrum und Rhythmus zu unterscheiden. Metrum ist ganz strenger Wechsel von Stärken und Schwächen. So tickt, z.B., die Uhr, so schlägt auch ein gesundes Herz.
In der Sprache sind jedoch die Abstände zwischen „hervorgehoben“ und „nicht hervorgehoben“ nie ganz genau. Sie sind nur mehr oder weniger gleich, und das bezeichnet man als Rhythmus.
Die kleinsten sprachlichen Träger des Rhythmus sind die Silben. Einige von ihnen bekommen im Redestrom den Satzakzent und bilden die Kerne der Takte, die anderen verlieren ihre Betonung und schließen sich den starken Silben an:
´Denk ich/ an ´´Deutschland/ in der ´Nacht,
So ´bin ich/ um den ´´´Schlaf gebracht. (H. Heine)
Rhythmustragend sind in der Rede die rhythmischen Takte von verschiedener Struktur – Folgen von einer betonten und einigen unbetonten Silben, die sich von links oder rechts an die betonte anhängen. Man unterscheidet einige Arten von rhythmischen Takten:
Ø s t e i g e n d e Takte, die mit einer oder einigen unbetonten Silben beginnen und mit einer betonten Silbe enden, d.h., die Spannung wächst von den unbetonten Silben zur betonten: - ´-/ - - `-: Der ´Mann / ging am ´´´Stock.;
Ø f a l l e n d e,die mit einer betonten Silbe beginnenund mit unbetonten enden: `- - -: ´ Regelmäßige / ´ Wiederkehr / der ´starken / ´´ Silben // ´schafft / den ´´´Rhythmus. Die Spannung sinkt in diesen Takten nach der betonten Silbe;
Ø s t e i g e n d – f a l l e n d e,wenn die akzentuierte Silbe in der Mitte des Taktes liegt: - `- -: Die Spannung wächst zuerst, dann sinkt sie:
Am ´Vortage / des ´Unfalls / amü´´´sierte sich die Stadt.
In jeder Sprache überwiegen die einen oder anderen Strukturen, überwiegen kürzere oder längere Takte. Die Akzent struktur der Sprache verursacht das. Jede Sprache hat einen besonderen Akzenttyp, bestimmte Wortlänge. Auf dieser Grundlage entsteht der statische ( formelle ) Rhythmus der Sprache – ihr metrisches Fundament. Dieser Rhythmus hängt nicht vom Inhalt des Textes ab, er wird dem Text durch die Sprache, durch ihr System aufgezwungen. Typische Merkmale des deutschen statischen Rhythmus sind, z.B., deutliches Überwiegen von vier- und fünfsilbigenTaktensowie eine große Anzahl steigend-fallender rhythmischer Takte: Sie machen mehr als die Hälfte aller Takte in jedem Text aus. Dieser Rhythmus bildet die formelle Struktur des Textes.
Im Text ist aber der Inhalt wichtiger als die Form. Der Sinn differenziert die Takte nach dem Wert und nach der Stärke: Er hebt manche Takte hervor und schwächt die anderen ab. So entsteht der dynamische Rhythmus, der den statischen überlagert und modifiziert:
Tiefe ´´Stille herrscht im Wasser,
Ohne ´´Regung ´liegt das ´´´Meer.
Träger des dynamischen Rhythmus sind Syntagmen, denn innerhalb von Syntagmen werden die Takte nach ihrer Schwere abgewogen.
Im dynamischen Rhythmus unterscheidet man zwei verschiedene Rhythmisierungsarten: Man kann jeden Takt gleich stark betonen, jedem dieselbe Wichtigkeit beimessen: Wir ´´sind /auf ´´dieses/ ´´Geld /´´nicht/ ´´angewiesen. Dieser Rhythmus wird in der Linguistik podisch oder isolierend genannt, denn er trennt, isoliert jeden Takt von dem anderen. Solche Sprechweise bringt viele Informationen herüber, ist aber schwer für die Wahrnehmung: Der Hörer muss die ganze Information allein verarbeiten, er bekommt von dem Sprecher keine Hinweise, was für den Inhalt wichtig und was nebensächlich ist.
Eine andere Möglichkeit bietet der dipodische oder integrierende Rhythmus:
Der Sprecher differenziert die Takte nach der Wichtigkeit. Der Hörer merkt das an der Betonungsstärke und weiß, was wichtig und was zweitrangig für den Inhalt ist. Er orientiert sich an starken Betonungen wie an Meilensteinen: Er überhört das Nebensächliche, nimmt nur das Wichtige auf. Das erleichtert ihm die Verarbeitung von Informationen. Ein Teil der Informationen geht dabei natürlich verloren, aber das Verstehen solcher Texte ist wesentlich leichter als die Wahrnehmung der Passagen mit gleich starken Betonungen, mit podischem Rhythmus, wo alles gleich wichtig dargeboten wird.
Keine von diesen Rhythmisierungsarten ist schlecht oder falsch. Für verschiedene Anlässe kann man die eine oder die andere Form wählen, wenn man versteht, was dadurch gewonnen wird und was verloren geht.
Das Tempo
Als T e m p o bezeichnet man die Geschwindigkeit der Rede, Zahl der Sprechsegmente (Silben oder Wörter) pro Zeiteinheit (Sekunde oder Minute). Ein bestimmtes Tempo hat jeder gesprochene Text, dabei ist das Tempo sehr variabel und vielseitig determiniert.
Die wichtigsten Aufgaben des Tempos in der Rede sind:
Ø Hervorhebung des Wichtigen durch die Verlangsamung der Rede (die kommunikative Funktion);
Ø Ausdruck von Gefühlen (die expressive Funktion);
Ø Markierung der Beziehungenzwischen den Sprechpartnern: offiziell/inoffiziell (die stilistische Funktion).
Das Sprechtempo hängt von vielen linguistischen und extralinguistischen Faktoren ab. Zu den wichtigsten l i n g u i s t i s c h e n Faktoren gehören:
Ø Länge der Akzenteinheit: Lange Segmente werden schneller gesprochen als kurze;
Ø Betonung: Betonte Silben werden langsamer hervorgebracht als unbetonte;
Ø Position des Segments im Text: Anfangssilben werden immer schneller gesprochen, das Ende verlangsamt sich;
Ø Position der Silbe hinsichtlich der Betonung: Segmente vor der Betonung werden schneller gesprochen als solche nach der Betonung.
Wesentliche e x t r a l i n g u i s t i s c h e Faktoren, die das Tempo beeinflussen, sind:
Ø Wert der Information: Wichtige Informationen werden langsamer herübergebracht als nebensächliche;
Ø Kompliziertheit des Inhalts: Schwerer Inhalt wird langsamer dargelegt als einfacher;
Ø Beziehungen zwischen den Sprechpartnern: In einer offiziellen Situation wird langsamer gesprochen als in einer inoffiziellen;
Ø Emotionalität der Rede: Einige Gefühle verlangsamen das Tempo (Trauer, Niedergeschlagenheit), andere beschleunigen es (Freude, Zorn, Aufregung);
Ø allgemeines Lebenstempo: Wir sprechen im 21. Jahrhundert im Allgemeinen schneller, als unsere Vorfahren im 18. oder 19. Jahrhundert das getan haben;
Ø Mentalität der Nation: Südländer, z.B. Italiener oder Spanier, sprechen gewöhnlich schneller als Nordländer (Schweden, Finnen, Norweger).
Das Tempo kann von Situation zu Situation und vom Sprecher zum Sprecher wesentlich variieren. Wichtig ist, dass es immer angemessen ist.
8.5. Die Lautstärke
Mit L a u t s t ä r k e (Lautheit) meint man die Wahrnehmung der Intensität der Schallwelle. Das ist der Höreindruck, den wir von den einzelnen Silben und ihren Ketten im Text bekommen. Dieser Eindruck ist doppelseitig determiniert: einerseits durch die Intensität, d.h. durch die Amplitude der Schallwelle, andererseits durch die Eigenschaften unserer Hörorgane, durch unser Hörvermögen. Das bedeutet, dass dieselbe Intensität von verschiedenen Menschen als unterschiedlich lautes Geräusch erlebt werden kann.
Alle Laute haben verschiedene inhärente (eigene, innere) Lautstärke. Am lautesten sind natürlich die Vokale, ihnen folgen die Sonoren. Weniger laut sind die stimmhaften Konsonanten und sehr leise klingen die stimmlosen Laute. Deshalb ist es verständlich, dass die Wörter, die viele Vokale oder Sonore enthalten (alle, Wiesen, Name, malen, ähnlich usw.) westlich lauter klingen als Redesegmente mit vielen stimmlosen Konsonanten: Ast, Herbst,, packst usw.
Die Hauptfunktionen der Lautstärke in der Rede sind:
Ø den Redestrom hörbar zu machen: Vokale und Sonore tragen den Ton, sie machen unsere Stimme hörbar;
Ø bestimmte Segmente hervorzuheben, z.B., betonte Silben, inhaltlich wichtige Wörter;
Ø den Redestrom in kleinere Segmente zu trennen, denn am Ende jedes Sprechsegmentes klingt die Stimme etwas leiser als an seinem Anfang;
Ø Gefühle auszudrücken, denn viele Emotionen machen unsere Stimme laut: Zorn, Wut, Aufregung usw.
Alle die Lautstärke modifizierenden Faktoren kann man, wie beim Sprechtempo, in linguistische und extralinguistische trennen. Zu den l i n g u i - s t i s c h e n Faktoren gehören:
Ø die inhärente (eigene) Lautheit der Segmente, die den Ausspruch füllen: Alle Namen stehen auf der Teilnehmerliste.;
Ø Position des Segments im Redeabschnitt: Der Anfang ist immer lauter als das Ende.
Von den e x t r a l i n g u i s t i s c h e n Faktoren, die die Lautstärke beeinflussen, kann man nennen:
Ø die kommunikative Wichtigkeit des Segments: Wichtige Abschnitte werden lauter gesprochen als zweitrangige;
Ø die Individualität des Sprechers: Es gibt Menschen, die von Natur aus eine laute oder eine leise Stimme haben;
Ø äußere Umstände: Ruhe oder Lärm im Raum, Zahl der Zuhörer, Raumgröße usw.;
Ø Beruf: Lehrer, z.B., sprechen immer lauter als Ärzte oder Apotheker.
Wichtig beim Sprechen ist, dass wir unsere Lautstärke stets ändern, sie der Situation anpassen.
Die Pausen
Als P a u s e n bezeichnet man kurze Unterbrechungen im Redestrom, die ihn in kleinere Segmente trennen und dem Hörer dadurch die Wahrnehmung der Informationen erleichtern. Pausen sind jedoch nicht nur für den Hörer wichtig. Sie sind nicht weniger notwendig für den Sprecher, denn er holt in dieser Zeit Luft, um weiter sprechen zu können, und plant seinen weiteren Text.
Die Hauptfunktion der Pausen in der Rede ist die delimitative: Die Pausen trennen den kontinuierlichen Strom von Lauten in kleinere Abschnitte. Außerdem sind die Pausen physiologisch wichtig (zum Einatmen) und strategisch notwendig (zur Redeplanung, zur Suche nach richtigem Wort). In manchen Fällen wirkt die Pause außerdem distinktiv: Ein bekanntes Beispiel dafür ist: Казнить /нельзя // помиловать, aber auch im Deutschen gibt es solche Sätze, die verschiedenen Sinn bekommen, wenn die Stelle der Pause geändert wird, z.B.:
a) Er schenkte den Ring der Tochter/ seiner Freundin.
Er schenkte den Ring / der Tochter seiner Freundin.
b) Der Angeklagte sagte,/ der Richter sei verrückt.
Der Angeklagte,/ sagte der Richter,/ sei verrückt.
c) Der brave Mann/ denkt an sich selbst zuletzt.
Der brave Mann denkt an sich, / selbst zuletzt.
Pausen kann man nach verschiedenen Prinzipien klassifizieren, und die Wissenschaft kennt einige Pausenklassifikationen.
Auf der physiologischen Grundlage unterscheidet man Pausen zum Einatmen und Pausen ohne Einatmen. Pausen zum Einatmen gliedern den Redestrom, geben dem Sprecher Zeit zur Redeplanung. In dieser Zeit versorgt der Redner seine Lunge mit Luft. Pausen ohne Einatmen spielen nur die delimitative und strategische Rolle.
Sprechpausen sind unterschiedlich lang. Nach ihrer Länge unterscheidet man
Ø überkurze (unter 100 msek.),
Ø kurze (100-250 msek.),
Ø mittellange (250-500 msek.),
Ø lange (500-1000 msek.) und
Ø überlange Pausen (über 1 Sekunde).
Ungefähr so werden die Redeunterbrechungen von unserem Ohr bewertet.
Von allen Klassifikationen der Pausen ist für die Linguistik ihre Gliederung nach sprachlichem Wert am wichtigsten, d.h. die Einteilung der Pausen nach ihrer Rolle in der Sprache. Von diesem Standpunkt aus unterscheidet man syntaktische und nichtsyntaktische Pausen (Hesitationen).
S y n t a k t i s c h e Pausen liegen an der Grenze syntaktischer Einheiten und trennen den Text in Sinnesabschnitte, z.B.: Die Musik / verzauberte den Raum.// Sie war die Südwind,/ wie eine warme Nacht, / wie ein gebauschtes Segel unter Sternen,/ ganz und gar unwirklich,/ diese Musik/ zu „Hoffmanns Erzählungen“. // (E.-M. Remarque). Dadurch erleichtern diese Pausen dem Hörer das Verstehen des Textes.
N i c h t s y n a k t i s c h e Pausen erscheinen an falschen Stellen im Text. Sie zerreißen ihn, erschweren die Wahrnehmung des Inhalts und nerven den Hörer: Sie sind... sie ist später gekommen und ...e-e-e-e... hatte kein ... e-e-e-... keine Dokumente mit.
Hesitationen zeugen von der Unsicherheit des Sprechers, von seinen geringen rhetorischen Fertigkeiten und sind nach Möglichkeit zu vermeiden. Besonders ärgert sich der Hörer über nichtsyntaktische Pausen, die mit verschiedenen Lauten (e-e-e-e, m-m-m-m, a-a-a-a usw.) gefüllt sind. Diese Einschübe sind in erster Linie aus der Rede zu verbannen.
Syntaktische Pausen trennt man in gliedernde (Endpausen) und verbindende (Zäsuren). Zäsuren trennen die Teile der Aussprüche und sind mit Spannung gefüllt. Die Endpausen signalisieren dem Hörer eine kurze Entspannung, weil die Information provisorisch zu Ende ist.
Syntaktische Pausen sind beim Sprechen absolut notwendig und in jeder Rede willkommen. Nichtsyntaktische Pausen müssen nach Möglichkeit gemieden werden.
Die Klangfarbe
Unter K l a n g f a r b e versteht man spezifische Färbung der Stimme, die durch die Obertöne verursacht wird. Modifikationen der Obertöne entstehen durch unterschiedliche Spannung der Sprechmuskeln: Sind die Muskeln stark gespannt, ist die Stimme kalt, unpersönlich. Mindert sich die Spannung, wo bekommt die Stimme eine warme, zärtliche Note.
Man muss betonen, dass die Klangfarbe nicht hundertprozentig zu den prosodischen, suprasegmentalen Eigenschaften der Rede gehört, denn ihre Wurzeln liegen in der segmentalen Ebene, in der Formantenstruktur der Laute. Die Formanten jedoch, die für die Klangfarbe zuständig sind, gehören nicht zu den Hauptbestandteilen des Lautes, sondern liegen in deren oberem Bereich, über den Lautformanten (deshalb werden sie auch Obertöne genannt). Sie ändern sich bei der Veränderung der Muskelspannung und modifizieren leicht die Laute. Da die Klangfarbe aber nicht nur die einzelnen Laute, sondern ganze Texte färbt, kann sie unter den suprasegmentalen Eigenschaften der Rede behandelt werden.
Die Klangfarbe dient in der Sprache zum:
Ø Markieren von offiziellen/inoffiziellen Beziehungen,
Ø Ausdruck von Gefühlen und
Ø subjektiver Modalität (Nachdruck, Bitte, Distanz zum Sprecher usw.).
Sie ändert sich meist automatisch, wir merken das gar nicht und können den Prozess schlecht steuern. Nur wenige Künstler können die Stimmen der anderen Menschen kopieren, indem sie bewusst die Muskelspannung ihrer Sprechorgane und die Resonanzräume verändern.
Zusammenfassend kann man sagen, dass die Sprache über eine reiche Palette von suprasegmentalen Ausdrucksmitteln verfügt, die jedem von uns beim Sprechen zur Verfügung stehen und die bei ihrem richtigen Einsatz wesentlich die Wirkung unserer Rede erhöhen können.
PHONOSTILISTIK
9.1. Begriff der Phonostilistik
9.2. Phonetischer Stil
9.3. Klassifikationsprinzipien der phonetischen Stile
9.4. Phonostilistische Mittel
9.4.1. Das Ausdruckspotential der Stimme
9.4.2. Spezifische Mittel der Klangstilistik